Kueblingen, Küblingen
Die meisten in dieser Beschreibung aufgeführten Daten und Annahmen wurden dem Bericht „Die Geschichte der Kirche in Küblingen“ von C. Schattenberg, 1898, entnommen.
Es gab einmal die Reklame: “Ich bin zwei Öltanks“. Genauso könnte die St. Marienkirche in Küblingen, dem 966 erstmals als "Cugelinge" urkundlich erwähnten und somit ältesten Ortsteil der Stadt Schöppenstedt, von sich behaupten: „Ich bin zwei Kirchen.“
„Schuld“ daran ist Albert Ryseberg. Ihm erschien der Sage nach 1291 (urkundlich belegt, die Jahreszahl wird allerdings angezweifelt) bei einem Nickerchen in Cubbeling (Küblingen) unter einer Linde die heilige Jungfrau Maria. Diesen Ort habe sie von Jesus Christus, ihrem Sohn, als eigenen Besitz zugewiesen bekommen. Kaufleute würden über den Rhein kommend ein Gnadenbild mitbringen, das an diesem Ort aufgestellt werden solle und dann von allem Volk verehrt werde.
Sofort eilte Herr Ryseberg nach Königslutter, traf dort die Kaufleute, kaufte das Gnadenbild in Form einer aus Holz geschnitzten Maria und brachte es am 30. Juni 1291 im Stamm der oben erwähnten Linde unter.
Um das Geheimnisvolle der Statue noch zu steigern, erhielt sie noch zwei auswechselbare rechte Hände. Eine warme aus Holz und eine kalte aus Gips. Die warme Hand sollte bezeugen, dass Maria den Menschen wohl gesonnen war. Die kalte Hand bedeutete Ungnädigkeit und sollte dazu führen, dass Maria nur durch Geldgeschenke wieder versöhnt werden konnte. Angeblich eine List sich schnell in das Geschehen einschaltender Mönche.
Dieses alte, wundertätige Marienbild, welches Küblingen den großen Zulauf der Hilfe suchenden Menschen eingebracht hatte, ist leider seit 1853 verschollen. Ein Duplikat (unsere Fotos) aus dem Jahr 1280 finden wir noch im Kloster Wienhausen.
Später, nachdem die Linde wahrscheinlich wegen des rabiaten Eingriffs eingegangen war, hat man die Marienstatue an diesem Ort in einem kleinem Behältnis aus Holz ,das man die „Clus“ (clausam) nannte, untergebracht. Die Clus befand sich rund einhundert Meter westlich der Kirche, dort wo sich heute das Gebäude der ehemaligen Küblinger Schule (heute Wohnhaus) befindet. Hier stand das 1824 abgebrannte Pfarrwitwenhaus, damals „Clus“ genannt.
Und nun musste aber auch die Madonna von Küblingen Wunder vollbringen. Und keinem Geringeren als Herzog Albert dem Feisten von Braunschweig wurde das erste zuteil. Er wurde von Verdauungsstörungen, Unbehaglichkeiten und Fieberhitze geheilt. Und nachdem Maria auch einen Herrn Swaneveld mit Sohn auf wundersame Weise aus einer Grube errettete, in der beide von einer Räuberbande mit Ketten gefesselt den Tod vor Augen hatten, konnte sich der Wallfahrtsort Küblingen vor Heilsuchenden und Sündern nicht retten. Der Ort ähnelte einem Jahrmarkt.
Aber Küblingen hatte Konkurrenz in Königslutter, denn auch dort versuchte ein weiteres der heiligen Maria geweihtes Gnadenbild Wunder zu vollbringen. Man hatte Auswahl. „Wenn mir die Maria in Königslutter nicht hilft, dann laufe ich eben über den Elm nach Küblingen und lasse mir dort helfen.“ Und somit herrschte ein reger Verkehr quer über den Elm zwischen Königslutter und Küblingen. Ein Teil des Weges war vielleicht der noch heute existierende Küblinger Trift.
Zum besserem Verständnis des weiteren Verlaufes wollen wir uns jetzt des untenstehenden Planes bedienen.
Die wahrscheinlich um 1250 erbaute romanische(1) Kirche (schwarze Umrandung) besaß ein mit Stroh bedecktes, spitzes Giebeldach. In ihr befanden sich ursprünglich zwölf aus Holz geschnitzte Apostel, die jedoch bis Anfang des 19. Jahrhunderts von der Bevölkerung verheizt wurden. So ist zu lesen, dass 1830 ein Junge zu seinem Schulmeister kam, in dessen Stube es angenehm warm war. Der Lehrer erklärte ihm, dass er heute den letzten der Apostel, Judas Ischariot, in seinem Ofen verbrannt habe.
Noch 1900 befanden sich in der Kirche ein Kreuz aus Eichenholz und eine "sehr defekte Figur", die einst den gekreuzigten Christus darstellte. An der nördlichen Wand waren noch Reste von Wandmalereien auszumachen
Die 1970 erneuerte Wetterfahne trägt verwirrender Weise das Jahresdatum 966. Doch dieses ist nicht das Datum der Errichtung der Kirche, sondern -wie eingangs erwähnt- das Jahr der erstmaligen, urkundlichen Erwähnung des Ortes Küblingen.
1328 wurde wahrscheinlich wegen der zunehmenden Anzahl der Pilger nördlich der Kirche versetzt eine steinerne Kapelle (grüne Umrandung) errichtet und in ihr an der Ostwand das Gnadenbild untergebracht. Der heute vermauerte und noch erkennbare Eingang befand sich an der Westseite.
Links, oberhalb des südlichen Eingangs der heutigen Kirche befindet sich in neugotischer Schrift die Jahreszahl 1479. Es ist anzunehmen, dass in diesem Jahr aufgrund der stets größer werdenden Pilgerschar der erforderliche Anbau in gotischer(2) Form errichtet wurde.
Die linke Hälfte der Südmauer der Kapelle (grün mit weißem Strich) und der rechte Bereich der Nordmauer des Altarraumes der alten romanischen Kirche (schwarz mit weißem Strich) wurden eingerissen und somit die Verbindung geschaffen.
Zusätzlich wurden westlich die Sakristei(3) erbaut und beidseitig des ursprünglich freien Raumes Mauern gezogen (rote Umrandung).
An der äußeren Ostwand der neuen Anbaues wurde gleichzeitig eine Nische für die steinerne Marienstatue eingelassen (M).
Das Standbild ist eine spätgotische Arbeit, die höchstwahrscheinlich von einem Braunschweiger Steinmetz 1479 geschaffen und 1885 von dem Steinmetzmeister Strümpel restauriert wurde.
Der Altar befindet sich in der ehemaligen Kapelle (A).
1720 erfolgte durch Vermauerung des Triumphbogens, der zum ehemaligen Altarraum der alten Kirche führte (gelbe Umrandung), die endgültige Trennung von der alten Kirche. Aus einer Kirche wurden somit zwei.
Die weißen Unterbrechungen der Umrandungen sind Türen und die blauen Unterbrechungen Fenster, die derzeit noch vorhanden sind. Der graue Bereich in der Südwand der ehemaligen Kapelle ist ein ehemaliges Fenster und der in der Westwand ein vermauerter Eingang. Der graue Bereich in der Nordwand der alten Kirche ist eine vermauerte, kleine Tür.
Nach Trennung der beiden Kirchen wird seit 1720 der Gottesdienst nur noch in der neuen Kirche ausgeführt. Die durch den Umbau erfolgte rechtwinklige Form des neuen Kirchengebäudes führte zu der gewollten oder zwangsläufigen kuriosen Trennung der Geschlechter beim Gottesdienst, in den südlichen Bereich für die Männer und den östlichen für die Frauen in der ehemaligen Kapelle. Ein wahres Unikum im Braunschweiger Land.
Unter dem Kirchturm (T) befindet sich auf ebener Erde das von der Streithorstsche Erbbegräbnis(4) (Foto Juni 2008), das von dem damaligen Besitzer des Rittergutes in Küblingen, Franz Christoph Ernst von der Streithorst 1684 hergerichtet wurde. 28 Särge, 16 große und 12 kleine, haben sich hier angesammelt. Neben den Familienangehörigen der von Streithorst fanden hier u.a. auch die aus Mecklenburg stammenden, reichbegüterten Herren von Bülow ihre letzte Ruhe.
1847 wurde als Letzte Josefa von Klenck dort beigesetzt.
Am 17.08.1894 wurde das Gewölbe zwecks einer Bestandaufnahme geöffnet. Die Wände trugen noch den ersten gelblichen Anstrich mit vier Bibelsprüchen.
In einem der kleinen Särge wurde eine vollständig verkalkte Kinderleiche mit schönem Gesicht, „man hatte den Eindruck eines schlafenden Kindes“, vorgefunden.
In einem anderen Sarg wurde "ziemlich wohl erhalten" die letzte Frau von Streithorst, geb. von Schmieden, entdeckt, die 1718 gestorben ist.
Zwischenzeitlich wurde die ehemalige aus Eichenholz gefertigte Eingangstür, auf der das Streithorstsche Wappen (goldener Fünfzack im roten Feld) angebracht war, zu dem Erbbegräbnis ausgebaut und die Öffnung auf Antrag des Kirchenrates vermauert. Über dem ehemaligen Zugang befinden sich neben der Jahreszahl der Erbauung die Anfangsbuchstaben des Erbauers und seiner Gemahlin Anna Sophie von Rossau (A S U R).
Aus alter Zeit finden wir in der „neuen“ Kirche das Bernwardkreuz, ein aus Messing gefertigtes ehemaliges Vortragekreuz(5), ein Kruzifix aus dem 11. Jahrhundert, eine kleine silberne Oblatenschale, die Grabmäler der Kammerrätin Catharine Lucie Lohse von 1737 (ehemalige Besitzerin des Rittergutes in Küblingen) und des seit 1745 in der Kirche ruhenden Kriegsrates Johann Christoph von Lohse.
Anzumerken ist noch, dass zur „besten“ Zeit der Wallfahrt der bekannte Prediger Johann Tetzel (1465 - 1519) und Gegenspieler Martin Luthers auch im vielbesuchten Küblingen seine Ablassbriefe verkaufte.
Bei seiner Rückreise über den Elm in Richtung Königslutter wurde er laut einer Sage "1518 von einem Küblinger Edelmann erschossen und beraubt und dort wo jetzt der Tetzelstein steht begraben. Der Edelmann hatte zuvor Ablass auf eine erst vornehmen wollende Mordtat von einem Ablassprediger gekauft. So sagt man." Mit diesen Worten beschrieb ein Pfarrer aus Sambleben im 18. Jahrhundert als Erster das grausige Geschehen. Vielleicht bemerkenswert ist, dass der Pfarrer nicht von Tetzel schrieb sondern lediglich von einem Ablassprediger.
Wilhelm Bode, 1825 bis 1848 Stadtdirektor von Braunschweig, wandelte später die Sage aufgrund der zu dieser Zeit geltenden humanitären Strömungen mildernd ab. Er nannte nunmehr Ritter von Hagen vom Hagenhof bei Königslutter als Täter, der den Ablassprediger Johann Tetzel nach vorherigem Kauf eines Ablassbriefes nur gezüchtigt und den geraubten Schatz, der in einem aus Eichenholz gefertigten Kasten verwahrt wurde, dem Volke zugeteilt habe.
Sicher ist, dass Tetzel am 11. August 1519 in Leipzig eines natürlichen Todes verstorben ist.
Noch 1749 und zuletzt 1836 wurde in Güterverzeichnissen der St. Marienkirche ein Geldkasten Tetzels aufgeführt, "der aber von den Würmern nunmehro sehr gefressen und auch in der Mitte von einander gebrochen ist."
Die ehemals vor der steinernen Marienstatue als Kniestein verwendete Fiale, die ursprünglich als Türmchen für Strebepfeiler sowie Tür- und Fensterbedachungen gedacht war, ist später an der südlichen Außenwand der Kirche angebracht worden.
In einem Zeitungsartikel von Dr. Wolfgang Scheffler vom 02.06.1951 ist zu lesen, dass die Fiale nicht vollendet wurde, da sie dem Steinmetz offensichtlich missglückt war. Daher blieb die Rückseite fast unbearbeitet. Sie wies lediglich vertiefte Streifen auf, die als Kniemulden für zwei Personen gedeutet wurden. Eine Vertiefung diente der Aufnahme von Weihwasser. Nachdem sie eine Zeit lang unter Erdreich begraben war, wurde sie an der Kirchenwand befestigt.
Auch hält er die 1777 vom damaligen Küblinger Pastor J.F.L. Wegscheider geäußerte Vermutung, dass aufgrund der "stilistischen Eigenarten" die heute an der Ostseite zu findende steinerne Marienstatue durchaus das wundertätige Bild aus dem Jahr 1291 sein könne, für möglich.
Eine Vermutung, zu der Schattenberg sicher zahlreiche Gegenbeweise erbracht hätte.
Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch, dass im Gegensatz zu Schattenberg, ein Herr Rüdemann in seinem "Gelehrt. Beytr. z.d. Braunschw. Anz." bereits im Jahr 1777 die Ansicht vetrat, dass der gesamte heute als Kirche genutzte östliche (auf dem Plan grau schattiert) Bereich erst im Jahre 1479 erbaut wurde.
Hiermit würde Schattenbergs Behauptung, dass die Kapelle (grün umrandet) bereits 1328 erbaut wurde, widerlegt. Ebenso dessen Ansicht, dass der jetzige Haupteingangsbereich der Altarraum der "alten" Kirche gewesen sei.
Hierzu weist Schattenberg darauf hin, dass dort bei Renovierungsarbeiten im Jahre 1891 massive Unterbauten von Altären gefunden wurden. Zudem sei der ehemals an der Ostwand der alten Kirche befindliche Triumphbogen als Zugang zum Altarraum zugemauert worden. Ferner behauptet er, dass Kirchen zu jener Zeit stets einen Altarraum gehabt hätten.
Auch die Nichtexistenz der gesondert schon zuvor errichteten Kapelle stellt er ad absurdum, da nach seiner Meinung nie ein Neubau in dieser abgeknickten Form errichtet worden wäre.
Auf einem Sockel links neben der Eingangstür entdeckten wir dieses eingeschlagene Kreuz, welches eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Wappen der Tempelritter aufweist, die auch mit der Errichtung der romanischen Kirche in Ampleben in Verbindung gebracht werden.
Darüber finden wir ein "W", welches aber durchaus auch eine Krone darstellen könnte, und rechts daneben den kunstvoll eingeschlagenen Buchstaben "B".
Möglich ist aber auch die Annahme, dass es sich um das Zeichen eines Steinmetzes handelt.
Hier gelangen Sie zu weiteren Einzelheiten überTetzel (Tour 1, Punkt 10, Tetzelstein).
(1) Romanik |
(1050-1230). Bauformen römischer, fränkisch-karolinischer, arabischer Herkunft. Halbkreisförmige Rundbogen. Große ebene Flächen. Dicke wehrhafte Mauern. |
(2) Gotik |
Stilepoche der europ. Kunst. Der Begriff G. war von G.Vasari abwertend von den Goten, in seinen Augen Barbaren, abgeleitet worden. Eine positive, bis heute gültige Sicht und Wertung gelang erst der dt. Romantik. |
(3) Sakristei |
Nebenraum in der Kirche für den Geistlichen u. die gottesdienstlichen Geräte. |
(4) Erbbegräbnis |
Recht des Patronaten, der für den Unterhalt der Kirche zu sorgen hatte, in dieser eine Familiengruft einzurichten. |
(5) Vortragekreuz |
Wird bei Prozessionen (Umzügen der katholischen Kirche) vorangetragen. |
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