Schöppenstedt ● 1864 Errichtung der Actien-Zuckerfabrik
Der betrogene Erfinder
Der Schöppenstedter Julius Wilhelm Dedekind war der erste, der im Herzogtum Braunschweig Versuche zur Rübenzuckergewinnung durchführte. Als Stadtphysikus von Königslutter erbrachten seine Versuche, "dass ein gewisses, einheimisches schon lange im öconomischen Gebrauch sehr nützliches Gewächs (Anm. Runkelrübe) in großer Menge Zucker liefere. 11 Pfund geben 4,5 Pfund sehr süßen Saft.". Dieses teilte er am 24. Januar 1787 dem Obersanitätskollegium in Braunschweig mit. Herzog Carl Wilhelm Ferdinand entschied darauf, dass Dedekind unter Aufsicht des Bergrates Abich aus Schöningen die Untersuchungen wiederholen solle. Doch Abich befand, dass die Versuche "vergeblich gewagt" seien. Dedekind wandte sich daraufhin an den preußischen Staatsminister Graf von Herzberg, der jedoch in dieser Angelegenheit nichts unternahm. Ein für Dedekind enttäuschendes Ende seiner jahrelangen Versuche.
In Preußen nahm Franz Carl Achard die Bemühungen, aus der Runkelrübe Zucker zu gewinnen wieder auf. Am 11. Januar 1799 überreichte er König Friedrich Wilhelm Zuckerproben, die er aus Runkelrüben gewonnen hatte. Dieser zeigte sich begeistert und ließ daraufhin mit Hilfe eines Darlehens Archard auf dem Gut Kunern in Schlesien 1801 die erste Zuckerfabrik errichten.
Und der Schöppenstedter Dedekind wandte sich daraufhin an den preußischen König und verwies auf seine vergebliche Eingabe an den Grafen Hertzberg. Er bat darum, "ihn als Erfinder der Sache allergnädigst und huldreichst zu protegieren."
Die Antwort müssen Dedekind, aber auch Achard, geradezu als Hohn empfunden haben. Der König teilte ihm mit, dass Graf Herzberg (!) der Erfinder sei.
Die Actien-Zuckerfabrik
1864 fassten einige Herren der Stadt den Beschluss, die "Actien-Zuckerfabrik Schöppenstedt" zu gründen. Der Bauplatz auf dem so genannten Riehe mit ca. 5 1/4 Morgen Größe wurde für 4.935 Thaler angekauft.
Baubeginn war der 02. Juni 1864. Kurz nach Fertigstellung eröffnete die Fabrik am 31. Oktober 1864 ihre erste Kampagne, in der insgesamt 166.125 Zentner Rüben verarbeitet wurden.
Um diese Menge künftig zu erhöhen, wurde 1866 beschlossen, dass fortan pro Aktie auf fünf Morgen Rüben angebaut werden sollten.
Durch Verkauf von weiteren 140 Aktien zu je 350 Thaler im Jahr 1872 erhöhte sich die Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien auf 380 Stück. Das Aktienkapital betrug nunmehr 133.000 Thaler.
Die Aufstockung diente der sofortigen Erweiterung der Fabrik durch Erbauung eines Zuckerhauses, der Anschaffung von zwei neuen Dampfkesseln, der Aufstellung eines zweiten Vakuums, der Anschaffung eines neuen Verdampfkörpers und einer großen Wasserbalanciermaschine.
Diese Maßnahme ermöglichte eine Verarbeitung von täglich 2.500 Zentnern Rüben in der Kampagne 1872/73.
Durch weitere Verbesserungen und Erweiterungen ab 1874 wurde eine Erhöhung der täglichen Verarbeitung auf 8.500 bis 9.000 Zentner pro Tag erzielt.
Von 1890 bis 1912 wurden insgesamt 10 Millionen Mark für die Modernisierung der Zuckerfabrik verausgabt. 1891/92 erfolgte zwecks Behebung der Abwasserfrage der Ankauf der "Rieselwiesen", dem heutigen Vogelschutzgebiet südlich von Bansleben (siehe Ausflugsziele in und um Schöppenstedt).
1896/97 wurde die Schnitzeltrocknung gebaut. Die jährliche Rübenverarbeitung lag nunmehr bei 1.400.000 Zentnern.
Der 1. Weltkrieg von 1914 bis 1918 bedeutete insgesamt einen großen Einbruch in der Rübenverarbeitung. 1919 kam es zwangsläufig zur Übernahme der gleichfalls seit 1878 in Schöppenstedt, rechts hinter dem Bahnübergang an der Straße nach Vahlberg gelegen, ansässigen Zuckerfabrik "Altenau", da zwei Fabriken an einem Ort wie Schöppenstedt nicht mehr lebensfähig waren.
Erst 1925/26 ging es wieder aufwärts. Aber durch insgesamt baldige Überproduktion von Zucker sank das Rübengeld für die Bauern. Die Folge war die Gründung der "Wirtschaftlichen Vereinigung der Deutschen Zuckerindustrie". Schöppenstedt bekam ein Grundkontingent von 130.000 Zentnern Zucker.
1939, zu Beginn des 2. Weltkrieges, beschäftigte die Fabrik 225 Arbeiter, von denen lediglich 35 Einheimische waren.
1945, nach dem Kriegsende, wurde der Betrieb trotz hoher Verluste durch Plünderung mit Genehmigung der Besatzungsbehörde wieder aufgenommen. Bald darauf wurde das Einzugsgebiet ausgedehnt auf die umliegenden Gemeinden Uehrde, Semmenstedt, Dettum und Söllingen. 1955 kam es sogar zu einem Vertrag mit dem "Bremervörder Rübenanbauerverband" in Stade, der jährlich 146.400 Zentner Rüben einbrachte.
1959 erhielt die Fabrik zum Stolz der Heizer das modernste Kesselhaus in Deutschland.
1960 war das Rekordjahr der Schöppenstedter Zuckerfabrik. 2.800.000 Zentner Rüben wurden verarbeitet, 554.00 Zentner Rohzucker erzeugt! Und das war der Anfang vom Ende. Die Bundesrepublik Deutschland versank im Zucker. Es entstand der "Zuckerberg".
Doch die Zuckerfabrik überlebte mehr schlecht als recht noch weitere 31 Jahre. Bis 1991 der damalige Direktor Uwe von Borries das traurige Ende der Zuckerverarbeitung in Schöppenstedt verkünden musste. Die Fabrik war dem Preisdruck von Außen nicht mehr gewachsen.
Noch 1991 erschien diese Anzeige im "Heimatbuch für den Landkreis Wolfenbüttel". Dort war man noch stolz auf das 125-jährige Jubiläum im Jahr 1989. Nur wenige Tage später schloss der "bedeutende Wirtschaftsfaktor Schöppenstedts" endgültig die Tore.
127 Jahre Zuckerfabrik Schöppenstedt gehören der Vergangenheit an. 2003 wurde die Fabrik dem Erdboden gleich gemacht und ist "ALDI" gewichen.
Und auf dem ehemaligen Gelände der Zuckerfabrik Altenau thront heute statt eines ehemaligen Arbeiterwohnhauses "Lidl" und der ursprüngliche Schlammteich der Fabrik ist heute das Refugium von "REWE".
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