Harbke
Unser Ausflug beginnt in Schöppenstedt, 25 km östlich von Braunschweig an der Südseite des Elms gelegen. Über Schöningen, Reinsdorf und Hohnsleben erreichen wir Harbke.
Harbke wurde 1040 erstmals unter dem Namen Hertebike erwähnt.
Das leider immer mehr verfallende Renaissanceschloss und der Burgturm wurden 1572 bis 1586 auf dem Grundmauern einer ehemaligen Rundburg erbaut, die sich seit 1308 im Besitz der Familie von Veltheim befand. Bis zur 1945 durch die Regierung der damaligen DDR erfolgten Enteignung war die letzte Besitzerin Karin von Veltheim.
Nachdem es am 26.10.1731 durch einen Brand zerstört wurde, baute es in der Zeit von 1751 bis 1759 Martin Peltier de Belford aus Braunschweig in der auf Grund des Verfalls heute kaum noch zu erkennenden Form wieder auf.
Der benachbarte Harbker Lustgarten wurde 1744 angelegt. Ausgestattet war er mit verschiedenen Skulpturen und der bis heute erhaltenen Nischenwand, der so genannten "Chinesischen Mauer".
1771 veröffentlichte der sich fünf Jahre in dem Garten aufhaltende D. Johann Philipp du Roi, in dem in unseren Besitz befindlichen Buch "Die Harbkesche wilde Baumzucht" die "Bäume, Sträucher und strauchartigen Pflanzen". Das Werk hat er dem "Durchlautigsten Fürsten Friedrich Albrecht" und den "Hochwohlgeborenen Herren Friedrich August von Veltheim und Otto von Münchhausen" gewidmet.
Ab 1760 wurde unter der Regie von Friedrich August von Veltheim (geb. 1741 in Harbke, verstorben 1801 in Braunschweig) die bewaldete Fläche botanisch durchgestaltet. Die barocken Strukturen wurden einbezogen. Es entstanden Bereiche wie "Florida", "Libanon" oder "Ukraine", deren Bepflanzungen die jeweilige Gegend widerspiegelten.
1803 verschwanden nach einer Umgestaltung durch Röttger von Veltheim (1781 - 1848) weitere Spuren der barocken Anlage.
Unter seiner Herrschaft wurde 1830/31 auch die neogotische(2) Orangerie anstelle eines alten Gewächshauses zur Aufzucht und Haltung tropischer Pflanzen errichtet. Diese Orangerie und die anschließende "Chinesische Mauer" mit der barocken Sandsteinfigur "Pomona" wurden um 2000 in Teilen saniert.
Das über dem Eingangsportal befindliche Wappen entstammt der Familie von Bülow und wurde zu Ehren der Gattin des Grafen, Friederike, geborene von Bülow, dort angebracht.
Ein Schwerpunkt lag in Harbke auf der Kultivierung ausländischer Gehölze. Für die unter Friedrich August von Veltheim erfolgte Entwicklung des Landschaftsgartens in Deutschland stellte Harbke durch Beschaffung von mehr als 1.400 verschiedener Pflanzenposten und Samen einen der wichtigsten Pflanzenlieferanten.
Und somit ist es nicht verwunderlich, dass ähnlich Harbke in Umgebung der noch oder ehemals in Besitz der von Veltheims befindlichen Schlösser Destedt (Tour1) und Groß-Bartensleben gleichgeartete Landschaftsgärten anzutreffen sind.
Die als „Harbkes wilde Baumzucht“ bezeichnete Anlage ist eine dendrologische (gehölzkundliche) Besonderheit hohen Ranges, die sogar schon Goethe und sein Sohn August vom 17. bis 19. August 1805 besucht haben. Goethe verfasste daraufhin einen bedeutenden dendrologischen Bericht über die in Harbke vertretenen Baumarten.
Der 1759 - an anderer Stelle findet man das Jahr 1781 - gepflanzte Gingko-Baum(3) (Gingko biloba) ist vermutlich der älteste seiner Art in Deutschland. Er hat einen weiblichen und männlichen Stamm. Ein weiterer Blickpunkt ist der Tulpenbaum.
Die evangelische Schloss- und Pfarrkirche St. Levin wurde 1572 erbaut. Die Errichtung des Turmes erfolgte nachträglich 1718/19. Zur Erinnerung an ihre Erbauer wurde die Kirche mit einem großen Epitaph geschmückt, das Achaz von Veltheim und seine Gemahlin Margarete, geb. von Saldern, mit 32 Ahnenwappen zeigt.
Tipp: Die wohl neueste Attraktion Harbkes ist ein ausgedientes Passagierflugzeug, ein IL 18 des ehemaligen DDR-Flugunternehmens Interflug. Heinz Kabon hat die Maschine in Berlin sorgfältig zerlegt und hier wieder zusammengesetzt. Heute beherbergt sie ein Restaurant, ein Standesamt und ein hübsches Hochzeitszimmer!
(1) Renaissance |
(1500-1650). Von Italien ausgehender Baustil. Im Kirchenbau wird das Langhaus von einem Tonnengewölbe überspannt, getragen von durch Rundbögen verbundenen Pfeilern. Über dem lichtdurchfluteten Zentrum ruht eine große Kuppel. Beispielhaftes Muster für den Profanbau (Rathäuser, Burgen u.ä.) ist das Gewandhaus in Braunschweig. |
(2) Gotik |
Stilepoche der europ. Kunst. Der Begriff G. war von G.Vasari abwertend von den Goten, in seinen Augen Barbaren, abgeleitet worden. Eine positive, bis heute gültige Sicht und Wertung gelang erst der dt. Romantik. |
(3) Gingko |
Gingko, ursprünglich "Ginkyo", von den Japanern aus dem
Chinesischen "Yin King" abgewandelt. Fälschlicherweise, aber heute der
internationalen botanischen Nomenklatur entsprechend, von Kaempfer (1727 -
1806) durch irrtümliche Umwandlung des "y" in ein "g" in "Gingko" abgeändert. Diese
Schreibweise wurde später von Carl von Linne (1707 - 1778) sanktioniert.
Hierzu bemerkte 1942 Karl Mägdefrau in seiner "Paläobiologie der Pflanzen"
ironisch:
"Fehler-Konservierung gibt es in keiner Wissenschaft, wohl aber in den
botanischen Nomenklaturregeln". |
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