Till Eulenspiegel war ein Straßenräuber

 

Neue Spuren aus dem Leben des Volksnarren Eulenspiegel

 

Ein Bericht von Franziska Becher, erschienen am 19. Mai 1984 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

 

 

In Jugendbüchern ist Till Eulenspiegel stets als lustiger Gesell geschildert worden, dessen Mutterwitz oder Bauernschläue über die bürgerlichen Handwerksmeister siegte. Er gilt als Vertreter des verachteten Bauernstandes, der sich teils einfältig, teils durchtrieben an den Bürgern rächt.

 

Vor allem in den letzten Jahren hat sich die rund 200 Jahre alte Eulenspiegelforschung für die sozialkritischen Hintergründe der Rolle dieses angeblich anderen den Spiegel vorhaltenden Schalksnarren interessiert, wobei wohl übersehen wurde, dass sich das Wort Spiegel nachweislich vom mittelalterlichen Wort "specula" ableitet, die Warte oder Turm bedeutet.

 

Dr. Bernd-Ulrich Hucker (Universität Bamberg) hat nun nach "Thyl Vlenspiegel" selbst gesucht, der laut Eulenspiegelbuch von 1510/11 als "eines buren sun" im braunschweigischen Dorf Kneitlingen am Elm geboren wurde.

 

"Das Überraschende dabei", wertet Hucker, "ist nicht nur, dass es Till Eulenspiegel gab, sondern, dass selbst die spärlichen Zeugnisse seines Lebens uns unmittelbar zu den Schauplätzen der Kindheits- und Jugendgeschichten des Eulenspiegelbuches führen. Auch sonst stimmen die Aussagen des gesicherten Quellenmaterials gut mit den meisten Zügen der mündlichen und schriftlichen Eulenspiegeltradition überein."

 

Der Bamberger Geschichtsforscher ging dabei von einer bekannten, aber ungeachtet gebliebenen Erwähnung eines "Thile van Cletlinge" aus dem Jahr 1339 aus (Cletlinge, Cletlige, oder Knetlighe sind die alten Namensformen für Kneitlingen).

Bei der Suche nach Trägern desselben Namens fand sich im Staatsarchiv Wolfenbüttel eine Reihe unveröffentlichter Urkunden der Herren von Kneitlingen. Außerdem entdeckte Hucker ein Dokument aus dem Jahr 1351 mit dem Namen "Diederik" von Kneitlingen, der sich aber in einem Siegel "Tileke" von Kneitlingen nannte.

 

Damit ist auch für diesen besonderen Fall bewiesen, was in der Namensforschung im allgemeinen bekannt war, dass nämlich Tile und Tileke niederdeutsche Kurzformen von Dietrich sind. Nun konnte nicht nur Dietrich von Kneitlingen, sondern auch Dietrich von Uetze, der durch eine handschriftliche Notiz in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts namentlich gesichert wurde, mit dem Thyl des Eulenspiegelbuches von 1510/11 in Verbindung gebracht werden. Denn nach dessen erster "Historie" soll ein "Thyk von Ützen" Tills Taufpate gewesen sein: "... und Thyl von vtzen der burgher zu ampleben war sein dauffpeter."

 

Schon bald nach der Aufarbeitung der Kneitlinger Urkunden konnte Hucker zu seiner eigenen Verblüffung den damaligen Adelssitz derer von Kneitlingen, deren Familie in 18. Jahrhundert erlosch, eindeutig bestimmen. Mit Hilfe der Methode der Siedlungsgeschichte entdeckte er den ehemals "sattelfreien" Eulenspiegelhof, wobei "sattelfrei bedeutet, dass der Besitzer gegenüber dem jeweiligen Landesherrn frei von allen Diensten und Abgaben war. Hucker berichtet: "Nach der örtlichen Überlieferung, die bis in das 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, ist dort Till Eulenspiegel geboren worden. Beschreitet man bei der Geschichte der Kirche des Ortes den gleichen Weg, so stößt man ebenfalls auf diesen Punkt: Sie war historisch und baulich mit dem Adelssitz verbunden." Als Verbindung zwischen der Kneitlinger Kirche St Nikolaus und dem Hof gibt es nämlich ein kleines Gebäude, das in der Volksüberlieferung als Tills Wohnung gilt."

 

Über die Geschichte und die soziale Stellung der Herren von Kneitlingen fand der Wissenschaftler bei seinen Nachforschungen heraus, dass sich die Situation der Rittersöhne im 14. Jahrhundert von der eines bäuerlichen "Hufners", wie die Grundbesitzer einst hießen, kaum unterschied. So mussten denn auch die zahlreichen Söhne aus drei Linien der Familie von Kneitlingen mit den Einnahmen aus dem Adelshof mittlerer Größe auskommen. Doch anders als die wirklichen "buren" hatte der Landadel noch immer die Möglichkeit, sich gewissermaßen standesgemäß "aus dem Sattel" zu ernähren. Das allerdings hieß nichts anderes, als Raubritterei zu betreiben.

 

Just in diesem Zusammenhang wurde Thile von Cletlinge erstmalig unrühmlich erwähnt - anno 1339 im "stadtbraunschweigischen Verfestungsbuch". Dort heißt es, dass Thile von Cletlinge im Gerichtbezirk der Stadt Braunschweig "friedlos gelegt "wurde, was nach Hucker eine abgemilderte Form des Banns, aber noch keine Ächtung war, wie sie etwa Robin Hood erfahren hat. An Geächteten, Banditen oder Raubrittern hat sich die Fabulierfreude des Volkes aber immer ganz besonders entfacht. Sagen von ähnlichen Gestalten könnten sich so auf die Figur eines nachweisbaren Thile übertragen haben.

 

Im heutigen Regierungsbezirk und früheren Herzogtum Braunschweig machten etliche Adelssprosse durch Straßenraub das Land unsicher. Wie das "Verfestigungsbuch" verrät, waren allein mit Thile sieben adlige Raubgesellen angeklagt. Sie hörten auf recht klangvolle Namen: Henning von Lochtum beispielsweise oder Hennig von Denkte. Angestiftet, so gaben die sieben zu Protokoll, habe sie Albrecht von Regenstein, ein ehemals übel beleumdeter Raubgraf. Aber auch sonst schien Till nicht in bester Nachbarschaft zu leben, ist doch die Kneitlingen benachbarte Burg Sambleben aus dem Eulenspiegelbuch schon als "arg boeß raubschloß" bekannt.

 

In diesem Buch sind reichlich Spuren zu finden, die Till mit der Raubritterei in Verbindung bringen, es lässt jedoch auch das Schicksal der Familie nachklingen. In der zweiten und dritten "Historie" wird erzählt, wie die von Kneitlingen aus Armut fortziehen, um sich im Magdeburgischen niederzulassen. Der Historiker findet allerdings eine andere Erklärung als dieses Armut.

Nachweislich verlässt die Familie vor 1350 ihre Heimat, weil sie "Widerstand gegen die herrschende Territorialgewalt des landesansässigen Fürsten" leistete. Im sozialen Spannungsfeld der Adelskrise des 14. Jahrhunderts gab es für den niederen Landadel nur zwei Möglichkeiten - entweder Anpassung an den Fürsten als dessen Höfling und Beamter oder aber Widerstand. Und Widerstand bedeutet Übergang zum Banditentum, das in dieser Zeit in deutschen Landen seine charakteristischste Ausprägung im Raubrittertum fand. Wen wundern jetzt noch Thiles diesbezügliche Aktivitäten?

 

Die Herren von Kneitlingen haben - wie schon durch Till bekannt - den Weg des Widerstandes gewählt. Dabei schlossen sie sich eng an die Raubgrafen von Regenstein, deren Vasallen sie laut Urkunden waren. Sie folgten den Regensteins in den Magdeburger Raum und bekamen dort später umfangreiche Ländereien als Lehen. Bis zum Aussterben im Jahr 1739 gehörte die Familie von Kneitlingen zu den Ritterschaften des Stifts von Halberstadt und des Erzstifts Magdeburg.

 

 Nur ihr bekanntestes Mitglied lebt noch heute in der Figur des Eulenspiegels fort.

 

 

 

 

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