Die grausige Geschichte vom Tetzelstein im Elm

Schon seit Jahrhunderten, genau genommen seit 1291, war das Dörfchen Küblingen bei Schöppenstedt am Elm ein vielbesuchter Wallfahrtsort. Dem Einheimischen Albert Ryseberg war bei einem Nickerchen unter der Ortslinde die heilige Jungfrau Maria erschienen. Sie vertraute ihm an, dass sie diesen Ort von ihrem Sohn Jesus Christus als Besitztum zugewiesen bekommen habe. Kaufleute würden über den Rhein kommend ein Gnadenbild mitbringen, das an diesem Ort aufgestellt werden solle und dann von allem Volk verehrt werde.

Sofort eilte Herr Ryseberg nach Königslutter, traf dort die Kaufleute, kaufte das Gnadenbild in Form einer aus Holz geschnitzten Maria und brachte es am 30. Juni 1291 im Stamm der zuvor erwähnten Linde unter. Um das Geheimnisvolle der Statue noch zu steigern, erhielt sie noch zwei auswechselbare rechte Hände. Eine warme aus Holz und eine kalte aus Gips. Die warme Hand sollte bezeugen, dass Maria den Menschen wohl gesonnen war. Die kalte Hand bedeutete Ungnädigkeit und sollte dazu führen, dass Maria nur durch Geldgeschenke wieder versöhnt werden konnte. Angeblich eine List sich schnell in das Geschehen einschaltender Mönche.

Später, nachdem die Linde wahrscheinlich wegen des rabiaten Eingriffs eingegangen war, hat man die Marienstatue an diesem Ort in einem kleinem Behältnis aus Holz ,das man die „Clus" nannte, untergebracht.

Und nun musste aber auch die Madonna von Küblingen Wunder vollbringen. Und keinem Geringeren als Herzog Albert dem Feisten von Braunschweig wurde das erste zuteil. Er wurde von Verdauungsstörungen, Unbehaglichkeiten und Fieberhitze geheilt. Und nachdem Maria auch einen Herrn Swaneveld mit Sohn auf wundersame Weise aus einer Grube errettete, in der beide von einer Räuberbande mit Ketten gefesselt den Tod vor Augen hatten, konnte sich der Wallfahrtsort Küblingen vor Heilsuchenden und Sündern kaum noch retten.

Und so war es auch noch an einem herrlichen Sommertag im Jahr 1518. Der Kirchplatz vor der Wallfahrtskirche St. Marien ähnelte einem Jahrmarkt. Lauthals versuchten Händler ihre Waren an Mann und Weib zu bringen.

Doch den Mittelpunkt bildete ein stattlicher Prediger, der Dominikanermönch Johann Tetzel. Hoch auf einem Podest stehend verkündete er, dass Sündern entgegen einer Beichte durch Kauf eines so genannten Ablassbriefes die Strafen erlassen würden. Kirchenraub und Meineid wurden gegen Zahlung von neun Dukaten und ein Mord bereits für acht Dukaten vergeben.

"Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!", verkündete er mit übermächtiger Stimme. Und der Kasten füllte sich zusehends mit Unmengen von Geld.

Einen Abend zuvor saß ein Edelmann von Küblingen, dessen Name bis heute ein Geheimnis blieb, mit zahlreichen Getreuen in seinem nur wenige hundert Meter vom Marktplatz entfernten Rittergut (Foto links).

Er war bekannt und beliebt für seine Gerechtigkeit gegenüber dem niederen Volk. Ihm war der betrügerische Handel Tetzels schon seit Wochen ein Dorn im Auge gewesen und er suchte mit seinen Mitstreitern nach einem Weg, wie man dem elenden Mönch das Geld wieder abknöpfen könne. Man ereiferte sich von Bierhumpen zu Bierhumpen ob der Trunkenheit zu immer mehr gröberen und blutrünstigeren Vorschlägen. Und schließlich fiel der einstimmige Beschluss: Raub und Mord!

Und so geschah es, dass sich der Edelmann an diesem schönen Sommertag im Jahr 1518 mit seinen Getreuen auf dem nahen Kirchplatz von Küblingen einfand. In voller Montur baute er sich breitbeinig vor Tetzel auf und fragte, ob er denn auch einen Ablassbrief für eine noch zu begehende Mordtat kaufen könne. Als Tetzel bejahte, brachen des Edelmanns Getreue in lauten Jubel aus. Dieser warf dem Dominikanermönch die acht Dukaten in den schon fast überquellenden Kasten, ließ sich den Ablassbrief aushändigen und schritt laut lachend von dannen.

Der Abend senkte sich über Küblingen. Die Händler bauten ihre Stände ab, die Pilger und Einheimischen suchten ihre Heimstatt auf. Tetzel verschloss mit wohligem Grinsen den wohlgefüllten Kasten, ließ ihn auf den Wagen laden und machte sich mit seinen Gehilfen auf den Weg zu seinem Quartier in Königslutter.

Auf holpriger Straße ging es quer durch den Elm. Die Dunkelheit kroch durch die Buchen bis endlich der Mond eine bessere Sicht ermöglichte. Endlich war der höchste Punkt der Wegstrecke erreicht. Der schwierigste Teil der Weges war geschafft. Nun würde die Straße nur noch bergab führen. Ein erleichtertes Aufatmen war zu vernehmen.

Doch urplötzlich wurde die Stille des Waldes durch lautes Gebrüll gebrochen. Der Küblinger Edelmann brach mit seinen Verbündeten durch das Dickicht, hinter dem sie schon seit Stunden gelauert hatten, und stürzte sich auf den wie versteinert wirkenden Tetzel und seine Gefolgschaft.

Im fahlen Mondlicht blitzte der Lauf eine Handfeuerwaffe auf.

"Die Tat ist bezahlt und den Ablass dafür habe ich schon von Dir erhalten!", rief der Edelmann und feuerte Tetzel die todbringende Kugel mitten ins Herz.

Tetzels Gefolge mied jede Verteidigung und floh wehklagend in die Tiefe des endlosen Waldes.

Schnell hoben die beiden kräftigsten der Gefolgsleute des Edelmanns den riesigen, metallbeschlagenen Geldkasten zwischen ihre beiden Pferde, und schon stob die Horde ohne Unterlass zum nur wenige Kilometer entfernten Rittergut in Küblingen.

Für den Edelmann hatte die Gerechtigkeit, wenn auch auf furchtbare Weise, gesiegt.

Und er bewies sein gutes Herz gegenüber den Armen und Bedürftigen. Mit den Worten "Was ihnen schmählich genommen, soll ihnen auch wieder gegeben werden!" verteilte er auf dem Kirchplatz in Küblingen die zahlreichen Dukaten an die karg lebenden Landleute der Umgebung. Und auf die Frage, woher plötzlich der Reichtum käme, zeigte er ihnen mit einem Lächeln von Ferne nur die Rückseite eines Pergaments, den Ablassbrief Tetzels.

 

Und dort, wo Johann Tetzel sein Leben ließ und seine Gebeine zu finden sind, steht heute der Tetzelstein. Mit einem Kreuz darauf, das Zeichen für eine begangene Mordtat.

 

Noch 1749 und zuletzt 1836 wurde in Güterverzeichnissen der Küblinger Wallfahrtskirche St. Marien der Geldkasten Tetzels aufgeführt, "der aber von den Würmern nunmehro sehr gefressen und auch in der Mitte von einander gebrochen ist."

 

   

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